Italien: Angriffe auf die Pressefreiheit – Die ganze Doku | ARTE
Die zwei Gesichter der Giorgia Meloni
Die Befürchtungen waren groß, als die Rechte Giorgia Meloni in Italien an die Macht kam. Inzwischen gilt Entwarnung. Doch im Land geraten Medien und Justiz unter Druck.
Eine Analyse von Ulrich Ladurner, Brüsse
- Mai 2024, 5:51 Uhr
Als Giorgia Meloni im Oktober 2022 zur Ministerpräsidentin Italiens gewählt wurde, fragten sich viele: Wie viel Viktor Orbán steckt in dieser Frau? Immerhin hatte sie in ihren Jahren als Oppositionspolitikerin ein sehr enges, freundschaftliches Verhältnis zu dem ungarischen Ministerpräsidenten gepflegt. Ob Migration oder Europapolitik, die beiden vertraten sehr ähnliche Positionen. Außerdem liegen Melonis politische Wurzeln im italienischen Neofaschismus. Eine Politikerin mit diesem Hintergrund und diesen Freundschaften wurde nun zur Ministerpräsidentin Italiens, Gründungsmitglied der EU und drittgrößte Volkswirtschaft der Union. Man durfte besorgt sein.
Doch binnen weniger Monate lösten sich die Befürchtungen auf. Meloni vertrat als Regierungschefin den unverdächtigen Dreiklang Pro-Nato, Pro-Ukraine, Pro-Europa. Wer diese Positionen vertrete, mit dem könne man reden, auch wenn er von Rechtsaußen stammt – so sieht es der Vorsitzende der Europäischen Volkspartei (EVP) Manfred Weber, der Meloni nach ihrer Wahl zum Gespräch traf. Also: Bis weit ins bürgerliche Lager hinein galt Entwarnung.
Dabei war Meloni im Amt nicht etwa zahm geworden, keinesfalls. Sie legte ein ziemlich hohes Tempo vor, besonders bei dem Thema, das ihre Partei Fratelli d’Italia, wie im Übrigen alle Rechtsaußenparteien in der EU, in den vergangenen Jahren groß gemacht hatte: Migration.
Im Juni 2023 fuhr sie gemeinsam mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und dem niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte nach Tunesien, um dort ein Migrationsabkommen zu schließen. Für Meloni war es in gleich zweifacher Hinsicht ein Erfolg. Zum einen hatte sie bei einem Thema etwas vorangebracht, das für sie und die EU gleichermaßen zentral ist – zum anderen hatte sie von der Leyen an ihrer Seite. Warum sollte man ihr nicht vertrauen?
Ein Jahr später einigte sie sich mit dem albanischen Ministerpräsidenten Edi Rama darauf, in seinem Land Lager für Migranten und Geflüchtete zu errichten, die auf dem Weg nach Italien abgefangen wurden – auch das ein Coup. Sie konnte ihrer Wählerschaft erneut zeigen, dass sie etwas bewegt. Und sie nahm vorweg, worauf sich die EU wenige Monate später in einer Reform des Asylsystems einigte: Lager für Asylsuchende an den Außengrenzen sind dabei ein zentraler Baustein.
Den Wert der EU doch erkannt?
Als die EU bei ihrem Gipfel im Februar 50 Milliarden Euro Finanzhilfe für die Ukraine freigeben wollte, stellt sich Melonis politischer Weggefährte Viktor Orbán quer. Es war Meloni, die ihn in einem Vieraugengespräch davon überzeugte, nachzugeben. Spätestens seitdem ist sie in der EU in die erste Reihe der Staats- und Regierungschefs aufgerückt. Da die Umfragen für Meloni und ihre Parteienfamilie – die Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) – günstig sind, wird sie nach den Europawahlen weiter an Gewicht gewinnen.
Sehen wir also die Verwandlung einer Politikerin, die vom äußersten rechten Rand des politischen Spektrums kommt? Ist aus der Postfaschistin Meloni eine nationalkonservative Politikerin geworden, die die EU nicht mehr bekämpft, sondern ihren Wert erkannt hat? Man könnte mit einem vorsichtigen Ja antworten – wenn es da nicht das andere Gesicht von Meloni gäbe.
Bei all den Sorgen, die man sich über Melonis europapolitische Zuverlässigkeit machte, bei all den Zweifeln, die man angesichts ihrer Freundschaft mit dem Autokraten Viktor Orbán hatte, geriet ein zentraler Aspekt in Vergessenheit: ihr Verhältnis zu den unabhängigen Medien und zur Justiz im eigenen Land. Die autokratischen Instinkte eines Politikers messen sich ja auch am Umgang mit diesen beiden Instanzen einer demokratisch verfassten Gesellschaft und nicht nur in ihrer außenpolitischen Berechenbarkeit. Und tatsächlich sind in den vergangenen Monaten Medien wie Justiz in Italien auf mehreren Ebenen unter Druck geraten.
Immer diese “linken Richter”
Nach einem Vorschlag des Justizministers sollten sich Personen, die sich um ein Richteramt bewerben, einem psychologischen Eignungstest unterziehen. Regierungsmitglieder sowie Meloni selbst sprechen immer wieder von gewissen “linken Richtern” in Italien und stellen damit deren Entscheidungen infrage, weil sie angeblich politisch begründet seien. Diese systematische Delegitimierung der Richterschaft hat Tradition. Der langjährige italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi attackierte die Richter regelmäßig und heftig. “Kommunisten” seien sie allesamt.
Die Regierung hat in den staatlichen Sendern der Rundfunkanstalt Rai eine ganze Reihe von Umbesetzungen vorgenommen. Das ist an sich nichts Ungewöhnliches, alle Regierungen, egal welcher Couleur, haben an die Spitze der Rai Personen gesetzt, die ihnen eher freundlich gesinnt sind – die Rai hat also immer eine politische Färbung, aber mehr auch nicht. Sie blieb alles in allem eine Institution, die ihrem Auftrag nachkam, nämlich die Öffentlichkeit mit Informationen und nicht mit Propaganda zu versorgen.
Das allerdings ändert sich nun mit Meloni. Generaldirektor der Rai wurde Giampaolo Rossi, ein Mann, der in der Vergangenheit immer wieder umstrittene Posts über Wladimir Putin, Donald Trump und Viktor Orbán abgesetzt hatte. 2019 sagte er in einem Interview mit Primato Nazionale, einer rechtsextremen Zeitschrift: “Der Antifaschismus ist eine Karikatur der Vergangenheit!” Meint: kein Wert, auf dem die italienische Nachkriegsrepublik gründet, sondern eine Lächerlichkeit.
Zensur oder nicht
Welche Konsequenzen daraus folgen, sollte man bald erfahren. Als der italienische Schriftsteller Antonio Scurati für den 25. April, den Tag der Befreiung, eine Rede in einer Sendung von Rai 3 vortragen sollte, wurde er kurzfristig aus fadenscheinigen Gründen ausgeladen, angeblich war das Honorar zu hoch (1.800 Euro). Scurati ist ein Bestsellerautor, der einen viel beachteten Romanzyklus über Mussolini geschrieben hat. Auf den Vorwurf der Zensur entgegnete Meloni auf ihrem Facebook-Kanal, sie sei in der Vergangenheit selbst immer wieder Opfer der Zensur gewesen. Um zu beweisen, dass sie nichts zensiere, hängte sie die Rede von Scurati im Wortlaut an ihren Post.
Normalerweise hält sich Meloni aus Debatten über die Vergangenheit Italiens heraus. Obwohl sie wiederholt “alle Totalitarismen, den Faschismus eingeschlossen” verurteilte, kam ihr das Wort Antifaschismus nie über die Lippen. Warum? In den Augen der italienischen extremen Rechten kämpften nicht alle Antifaschisten Italiens für eine liberale Demokratie, besonders nicht die Kommunisten. Das ist nicht von der Hand zu weisen, doch die Rechtsextremen benutzten diese Tatsache dazu, die italienische Nachkriegsrepublik zu delegitimieren.
Drohungen, die wirken
Scurati ist nur ein besonders auffälliges Beispiel für das Klima der Einschüchterung, das sich in Italien breitmacht. Meloni verfolgt ihre Kritikerinnen und Kritiker bis vor Gericht. Einige Schriftsteller sind bereits wegen Beleidigung der Regierungschefin zu Geldstrafen verurteilt worden. Andere haben ihre Sendeplätze im staatlichen Fernsehen verloren. Giovanni Berrino, ein Senator von Fratelli d’Italia, präsentierte unlängst einen Gesetzesvorschlag, wonach Journalistinnen und Journalisten, die sich der Diffamierung schuldig machen, bis zu viereinhalb Jahre Gefängnisstrafe gedroht hätten. Berrino hat den Vorschlag inzwischen zurückgezogen. Doch die “Drohung”, einmal ausgesprochen, wirkt weiter.
Parallel dazu findet bei den privaten Medien eine besorgniserregende Konzentration statt. Antonio Angelucci, Unternehmer und Abgeordneter der rechten Regierungspartei Lega, hat in den vergangenen Jahren mehrere Zeitungen aufgekauft und will dem Vernehmen nach Agi, die zweitgrößte Nachrichtenagentur des Landes, übernehmen. Kritiker sprechen von einem Interessenkonflikt. Pikant dabei: Agi gehört seit 1965 dem staatseigenen Eni–Konzern. Über einen Verkauf von Agi müsste der Wirtschaftsminister entscheiden, der wie Angelucci ein Mann der Lega ist.
Lässt man all diese Entwicklungen Revue passieren, muss man wohl doch zu dem Schluss kommen: In Meloni steckt viel Orbán – mehr als sie glauben lassen möchte.
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